Von DDR-Flucht bis Pokal-Aus

Stendal (srü). Wenn das Stendaler Stadion „Am Hölzchen“ aus allen Nähten platzt, dann hat dies zweifelsohne mit der Pokal-Saison 1995/1996 zu tun. Waren es vor 30 Jahren die vollen Ränge, von denen aus die Regionalliga-Elf bis ins Viertelfinale des DFB-Pokals gepusht wurde, so war es am Dienstagabend der Vereinsraum, welcher zur dritten Ausgabe des Jahres von „Reingegrätscht – Der Sport-Talk der Altmark“ keinen freien Platz mehr hatte. 65 Gäste verfolgten die Doppelaufzeichnung mit Markus Hoffmann und Norbert Nachtweih, dem erfolgreichsten Fußballer der DDR, zum damaligen Achtelfinale, welches die Rolandstädter am 3. Oktober 1995 nach Elfmeterschießen mit 5:4 für sich entschieden hatten.

Eine ganze Region stand damals Kopf: Der damalige Drittligist bekam es mit Mannschaften wie dem VfL Wolfsburg, Hertha BSC, Waldhof Mannheim und Bayer 04 Leverkusen zu tun – und sorgte für eine Sensation nach der anderen. Zum Anlass dieses Jubiläums steht die diesjährige Staffel „Reingegrätscht – Der Sport-Talk der Altmark“ des Kreisfachverbands (KFV) Fußball Altmark-Ost in Zusammenarbeit mit dem 1. FC Lok Stendal und dem Offenen Kanal genau unter diesem Motto.

Die am Dienstag aufgezeichnete Doppelfolge begann mit einem Spezial. Dieses rückte die Flucht Nachtweihs und seine fußballerische Karriere im „Westen“ in den Vordergrund. Dazu hatte Organisator Michael Müller neben dem Star-Gast selbst auch einen aus den Tagesthemen und dem Norddeutschen Rundfunk bekannten Sportmoderator eingeladen. Andreas Käckell ist ein Vertrauter Nachtweihs und zeigte sich zunächst begeistert: „Mit wie viel Herzblut der Talk hier passiert, imponiert mir“, sagte er, bevor ein Film über die persönliche Geschichte Nachtweihs gezeigt wurde. Dieser erzählte von der Flucht aus der damaligen DDR und wie alles in einem Hotel in der Türkei begann. Jürgen Pahl und Norbert Nachtweih waren nach vielen Jahren die ersten Fußballer, welche aus der DDR geflüchtet waren. „Wir waren dann auf der Liste“, sagte der heute 68-jährige Nachtweih und betonte immer wieder: „Ich habe der DDR viel zu verdanken. Die Flucht hatte rein sportliche Gründe.“ Er erzählte auch, welche Auswirkungen das für seine Familie und sein Heimatort Pollitz (Mansfelder Land) hatte. „Alle Pakete sind gefilzt worden, jedes Telefonat aus dem Ort wurde abgehört.“ Auf die deutsche Geschichte in den zwei Sportsystemen ging auch René Wiese ein. Der Sporthistoriker, der 2012 zur Geschichte der Kinder- und Jugendsportschulen der DDR promovierte, ging dabei auf verschiedene Aspekte ein. Er verdeutlichte beispielsweise, welche Folgen so eine Flucht auf beiden Seiten der Grenze hatte.

Hoffmann rettet die Verlängerung

Im Anschluss daran führte Sabrina Bramowski die Gäste durch die Begegnung Nachtweihs mit dem FSV Lok Altmark Stendal. Nach Stationen in Frankfurt am Main, München und Cannes (Frankreich) spielte der gebürtige Sangerhäuser von 1991 bis 1996 bei Waldhof Mannheim. Der damalige Zweitligist musste im Achtelfinale seine Visitenkarte in Stendal abgeben. Dabei traf Nachtweih zum einen auf seinen früheren Trainer aus Hallenser Zeiten, Klaus Urbanczyk sowie Markus Hoffmann. Der Stendaler Angreifer sorgte schon gegen Wolfsburg und Hertha für wichtige Tore, so dass die Mannheimer gewarnt waren.

Die passende Einstimmung bot der damalige Fernsehbeitrag von Wolfram Engel, der die Partie seinerzeit für den Mitteldeutschen Rundfunk begleitet hatte. Nach zweimaligem Rückstand war es Hoffmann, der in der 71. Minute wieder zuschlug und durch seinen Treffer zum 2:2 die Rolandstädter in die Verlängerung brachte. Ohne Treffer dort ging es im Elfmeterschießen weiter. Jens Gerlach, den Hoffmann aus Magdeburger Zeiten kannte, verschoss dort für den Gast und die neuerliche Sensation war perfekt: Der FSV Lok Altmark Stendal zog ins Viertelfinale ein.

„Genau dafür ist der Pokal da, dass solche unterklassigen Mannschaften für eine Überraschung sorgen“; sagte Norbert Nachtweih. „An mir hat es nicht gelegen“, so der 68-Jährige weiter, hatte er seinen Elfmeter doch verwandelt. „Wir waren damals eine mega geile Truppe“, sagte Hoffmann. Angesprochen auf seine Leistungen in dieser Pokal-Saison machte er aber klar: „Wir haben als Mannschaft gewonnen, ich war nur ein Spieler davon.“

Kurzweilig wurden so die 120 Minuten der Pokal-Partie noch einmal Revue passieren lassen. „Urbanczyk hat uns richtig heiß gemacht. Das war der beste Trainer, den wir haben konnten“; erklärte Markus Hoffmann, der vor jedem Spiel den Rocky-Film schaute. „Fußballer sind eben abergläubisch“, so der 58-Jährige.

Ausblick auf Leverkusen

Darüber hinaus ist schon ein Ausblick darauf geworfen worden, was die Gäste in der vierten Ausgabe erwartet. Dann geht es um das Viertelfinale gegen Bayer 04 Leverkusen, wo für die Stendaler dann Endstation im DFB-Pokal war. Nachtweih erfüllte noch zahlreiche Autogrammwünsche und Michael Müller bedankte sich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, die den Abend unterstützte.

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Bildquelle: Stefan Rühling